Donnerstag, 15. Juli 2010

Mein letzter Runbrief

Liebe Familie,
Liebe Freunde,
Liebe Unterstützer,

bei keinem meiner bisherigen Rundbriefe ist es mir so schwer gefallen einen Anfang zu finden. Dieser vierte Brief ist mein letzter. Ich blicke zurück und habe ein ganz besonderes Jahr hinter mir. Es ist schwierig diese Erfahrung, die eigentlich aus tausenden kleinen Momenten und Eindrücken besteht, in Worte zu fassen und diese Flut an neuen Erkenntnissen und vor allem den vielen herzlichen oder auch schwierigen Begegnungen, die ich erlebt habe, zu einem würdigen Fazit zu verfassen.
Das Gefühl, in einer Woche wieder aus unserer Wohnung in der Larrea 26 mit dieser ruhigen Wohnlage und den undichten Wänden auszuziehen, ist so unwirklich, dass ich nicht mal das Internet abbestellt habe. Die nächste Woche, die vor mir liegt, ist gefüllt von „letzten Malen“. Das letzte Mal zum Sport, das letzte Mal mit meinem Chef treffen, das letzte Mal in der Zeitungsredaktion arbeiten, das letzte Mal zum Spanischkurs, das letzte Abendessen mit all meinen Kollegen, das letzte Mal „reunión,“ (Mitarbeitertreffen) das letzte Mal feiern gehen und dann - das letzte Mal mit den Kids im Projekt sein, sie das letzte Mal in den Arm nehmen und nach Hause verabschieden. Ich freue mich auf alle diese Programmpunkte, nur der letzte wird mir wohl ziemlich schwer fallen.


Ich habe in dem letzten Jahr in der Welt der Unterschiede gelebt. Der Unterschied zwischen Europa und Lateinamerika. Der Unterschied zwischen stinkreich und bettelarm. Der Unterschied zwischen der Glitzerwelt der Nachtszene in Buenos Aires und den dreckigen abwässergetränkten Straßen in der Villa. Eine neue Erfahrung war es für mich auch, den Unterschied zwischen „Tourist sein“, der nur kurz das Land bereist und mit den Geschehnissen eigentlich nichts zu tun hat und „Ausländer/Einwanderer sein“, der mit all den Vorzügen und Nachteilen seines neuen Gastlandes zu kämpfen hat, an mir selbst zu erleben. In Argentinien habe ich mich immer sehr freundlich und herzlich aufgenommen gefühlt. Ich habe eine Gastfreundschaft erfahren, wie ich sie vorher nicht kannte. Die schmerzhaftere aber wohl wichtigere Erfahrung habe ich während der Weltmeisterschaft gemacht. Als ich das erste Mal, wegen meiner Herkunft beschimpft wurde und die Sinnlosigkeit und Stumpfsinnigkeit von Fremdenhass selbst erfahren habe. Die „La Nación“ die größte argentinische Tageszeitung hat kurz nach dem Sieg der Spanier über die Deutschen einen Artikel von einem Korrespondenten aus München darüber herausgebracht, wie ruhig und friedlich die Deutschen die Spanier haben feiern lassen und wie selbstverständlich die spanischen Fans sich mit Fahnen in eine deutsche U-Bahn setzen konnten, ohne dass es zu Krawallen kam. Der Titel war „In Argentinien ein unvorstellbares Szenario.“ Zwei meiner Mitfreiwilligen haben nach dem Spiel Deutschland-Argentinien am eigenen Leibe „gespürt bekommen“ wie recht dieser Artikel hatte.
An einem Nachmittag in unserer Nachhilfeklasse saß ich mit einem neuen Mädchen, das aus Paraguay zu uns gekommen war in der Sonne und redete über dies und das, als sie plötzlich fragte: „Du bist doch Ausländer oder?“ – „Ja ich bin Ausländer.“ „Wirst du deswegen oft diskriminiert?“ Als Europäer bin ich ein Jahr lang von den Argentiniern auf Händen getragen worden, dachte ich und sagte: „Nein, wieso fragst du?“ und sie antwortete: „Ich werde immer diskriminiert. In der Schule werde ich immer ausgeschlossen und alle lachen darüber wie ich rede. Auch wenn ich hier durch die Villa gehe. Die wollen hier einfach keine Paraguayos.“ Im Nachhinein ist mir selbst überhaupt nichts passiert während der WM, aber allein durch eine Situation der Ausgrenzung, die dazu auch noch nur auf Fußball begründet war, habe ich mich unwohl, unsicher und schlecht in meiner Haut gefühlt. Dadurch habe ich aber erst im Ansatz begriffen, wie sich eine Person, wie dieses kleine Mädchen fühlt, die täglich damit zu kämpfen hat und wie sich Ausländer in Deutschland und allen anderen Teilen der Welt fühlen, die nun nicht immer so leicht akzeptiert sind wie die feiernden Spanier.

Meine Zeit hier in Buenos Aires stand unter dem Titel „Freiwilliger Friedensdienst“. Zum Abschluss habe ich mir oft die Frage gestellt: Was habe ich und was haben wir Freiwilligen in diesem Jahr geschafft? Wie haben wir in dieser Zeit dem „Frieden“ „gedient“?
Ich habe für mich selbst keine zufriedenstellende Antwort gefunden. Sicher haben wir im ganz Kleinen den Frieden in unseren Projekten unterstützt. Wenn es darum ging, wer mit der Schlägerei angefangen hat oder wer denn jetzt mehr schuldig ist. Der, der den anderen verhauen hat oder der, der zwei Sekunden vorher die Mutter des anderen aufs Übelste beschimpft hat? Wenn man streng sein musste, um solche Situationen nicht aufkommen zu lassen. Aber auch wenn man manchmal milde war und sagen musste: „Okay! Dann singt ihr die deutsche Nationalhymne halt nicht, obwohl ihr die WM-Wette verloren habt und es eigentlich müsstet!;-)“ Oder wenn man die Kinder auf den Arm nimmt, ihre Füße dadurch zwei Minuten von dem schlammigen Boden trennt und das Glück dieser seltenen Freude in ihren Gesichtern sieht. Doch all dies ist für mich persönlich nicht mit dem aufzuwiegen, was ich in diesem Jahr selbst erfahren, erleben und lernen durfte. Ich habe unglaublich viel empfangen und konnte nur einen Bruchteil davon zurückgeben. Doch genau darin liegen die große Chance und der wertvollste Sinn an einem Friedensdienst im Ausland: Wir haben gesehen, wir haben geteilt, wir haben zugehört und wir haben erfahren. An vielen Baustellen konnten wir während unserem Jahr nur kurz und vorrübergehend helfen. Vielleicht wird in einiger Zeit auch klar, dass die Früchte, die wir gesät haben nicht aufgehen, dass einige unserer Schülerinnen trotz der Anstrengung von unseren Kollegen und uns in der Prostitution enden. Doch auch in diesem schrecklichen Fall wäre unsere Arbeit nicht vergebens. Wir haben getan, was wir in unserer Zeit hier konnten und zum Glück werden (jedenfalls in meinem Projekt) bald die nächsten Freiwilligen anreisen, die zusammen mit den vielen Menschen, die hier bereits anpacken, die Arbeit weiter führen. Für uns, die jetzt bald abreisen, kommt es darauf an, welchen Baustellen wir uns langfristig widmen. Haben wir verstanden, dass soziale Gerechtigkeit uns besser vor Raub und Totschlag schützt als vor jedes Fenster Eisengitter zu hängen und in der Dunkelheit nicht aus dem Haus zu gehen? Ist uns klar geworden, dass ein funktionierender Sozialstaat, in dem die Starken die Schwachen unterstützen, uns davor bewahrt das Einkommen eines Menschen daran zu erkennen, wie viele Zähne er im Mund hat und ob seine Kinder Schuhe tragen? Und wollen wir, dass unsere Kinder irgendwann ein Auslandsjahr machen und dieselben Geschichten erzählen müssen wie wir?

An dieser Stelle möchte ich ganz besonders meinen Unterstützern danken, die in meinem Spenderkreis mit dafür gesorgt haben, dass meine Entsendeorganisation, die Evangelische Kirche von Westfalen, den Freiwilligen Friedensdienst im Ausland finanziell schultern kann.
Durch diese Unterstützung habt ihr vielleicht direkt eine Person unterstützt und einen freundschaftlichen Gedanken zu mir Gestalt werden lassen, aber indirekt habt ihr mit euren großzügigen Spenden Projekten beigestanden, die noch viel größer und weitreichender sind. Ein Freiwilliger Friedensdienst wäre ohne diese Unterstützer nicht möglich und ich hoffe, ich konnte euch mit meinen Rundbriefen zeigen, wie wertvoll dieser Dienst für mich war und was er auch für andere Menschen bedeutet, die diese Hilfe dringend gebraucht haben und weiter brauchen.
Vielen vielen herzlichen Dank an:

Den gesamten Förderkreis Beyondwar e.V.

Die Gustav Alberts Gmbh & Co.KG aus Herscheid

Marion Rust

Doris Hagemeier

Rainer Hector

Joachim Stöver

Markus und Antje Rochel

Georg und Birgit Merklinger

Gernot und Uschi Hanke

Ite Gossmann

Donald und Shirley Chen




Freitag, 2. Juli 2010

Deutschland - Argentinien
Der Abend vor dem Sturm

Um euch die missliche Lage, in der ich stecke, kurz zu beschreiben möchte ich euch eine Nachricht zeigen, die ich gerade aus dem Diakonie-Büro bekommen habe, das für uns Frewillige zuständig ist (Achtung! Satire!):

Betreff: como sobrevivir el sábado...

Lamentamos que la embajada ni nos mando una respuesta, ni una invitacion, entonces tienen que ver el partido sin fuerte seguro y cuidarse de otra manera. Nosotros proponemos: ponerse una remera albiceleste,ensaya un acento dinamarces, grita a Schweinsteiger "estas nervioso?" y a todo el equipo "que la sigan mamando!", manda mensajes a amigos argentinos que queres quemar tu pasaporte. Suerte chicos!

sdkhgfowshglsdglsdglsdglsdjgbsldjgbsdjbfvsdjvbsdjvbsdjvfbsj

Was auf deutsch heißt:

wefblewfbwlefbwlefbwlefbwelfbwlefbweljfbwelfbwlejfb

slekdnflekgfnlwekfglwekfbwlebfwlefbwlefbwlefbewljf

Betreff: Wie den Samstag überleben...
Wir müssen euch leider mitteilen, dass die (deutsche) Botschaft uns weder eine Antwort, noch eine Einladung geschickt hat. Also müsst ihr die Partie ohne starken Schutz gucken und auf andere Weise auf euch aufpassen. Wir schlagen vor: Sich ein weiß-blaues T-Shirt anzuziehen, einen dänischen Akzent aufzulegen, Schweinsteiger zuzurufen "Estas nervioso?" ("Bist du nervös?) und dem ganzen deutschen Team "Que la sigan mamando" (Hier aus moralischen Bedenken nicht übersetzt) und schickt euren argentinischen Freunden SMSe, dass ihr euren Pass verbrennen wollt. (Im Falle eines deutschen Sieges)
Viel Glück Leute.

Die Anspannung vor dem großen Spiel - dem "Partidazo" - ist mit den Händen greifbar.
Ich werde das Spiel im Kreis meiner Kollegen und Bekannten in der Villa gucken. Ich freue mich sehr, ich denke wie ihr alle, auf diese Begegnung und hoffe, dass die Gerüchte um die argentinische Eitelkeit nicht allzu wahr sind. Das weiß-blaue T-Shirt liegt jedenfalls bereit.
Buenos Aires durfte heute schon lautstark feiern: Als Brasilien aus der WM ausgeschieden ist. Ein Erzfeind - ein "clasico" - ist damit "besiegt".

Vamos Argentina!