Mittwoch, 30. September 2009

Alltag


Lange habe ich nichts geschrieben.
Die letzte Zeit, war alles andere als einfach. Zwei schwierige Wochen liegen hinter mir. Ich hatte sehr mit mir zu kämpfen und damit, mich jeden Tag neu zu motivieren. Der Gang ins Projekt ist mir sehr schwer gefallen. Ich habe stark an dem Sinn meiner Aufgabe für mich und für die Menschen hier gezweifelt. 8 Nächte habe ich auf dem Sofa verbacht. Unruhig - unausgeglichen - geschafft. Ich war selbst nach langer Vorbereitung nicht darauf vorbereitet, wie stark man Menschen, die einem sehr viel bedeuten, in bestimmten Situationen des Lebens vermissen kann. So sehr, dass es schmerzt.
Zudem hat sich langsam ein geregelter Alltag in Quilmes eingerichtet. Ich weiß, wann ich, wann meine Mitbewohner nach hause kommen und wann wer wieder geht. Ich kenne alle Namen der Jungen und Mädchen in meinem Projekt mit dazugehörigen Verhaltensschwierig- und Leichtigkeiten. Jeden Tag gehe ich den bekannten Weg und kann schon fast die Straßen, die mein Colectivo (Bus) nimmt auswendig.
Sich in einem neuen Alltag, so fremd von dem Bekannten einzuleben und sich einen Platz zu schaffen ist unglaublich schwierig. Der "Adrenalinschock" der Umstellung ist vergangen und hat für einen ordentlichen "Kulturschock" gesorgt. Ich habe mir dieses Jahr im Ausland sehr gewünscht und genauso ausgesucht. Was das bedeutet wurde mir erst hier klar. Jetzt musste ich mich neu damit anfreunden und wir zwei haben uns nach langer Zickerei wieder angenähert.

In solchen Tiefphasen ist es sehr angenehm Mitbewohner zu haben, die sich gut um einen kümmern. Da bekommt man mal einen heißen Maté gereicht oder man bekommt eine ablenkende Aufgabe um die Ohren gehauen. Die Frage "Na? - Wie gehts dir?" reicht jedoch meistens um ein paar Steine beiseite zu räumen.
Letzte Woche, habe ich mit einem Mädchen aus meinem Projekt in unserem Hinterhof gesessen und über das Leben geredet. Sie wirkte sehr traurig, ich fragte sie, woher sie ursprünglich komme und sie meinte aus dem Chaco (Eine Provinz im Norden).
Sie sagte dann: "Ich lebe jetzt seit einem Jahr hier und vermisse meine Schwester unheimlich. Die ist mit meinem Vater im Chaco geblieben. Aber du kennst das ja sicher. Das ist genauso, wie wenn du nach Argentinien kommst und die Menschen, die du liebst in Deutschland lässt. Das ist auch schwer für dich."
Das genau in dem Moment, in dem ich besonders niedergeschlagen war, von einem 7-jährigen Mädchen so treffend gesagt zu bekommen, hat mich sehr bewegt.
Wir haben lange dort gesessen und erzählt. Es war ein wunderbarer Tag mit Sonnenschein und der ersten Wärme des Frühlings. Für solche Momente ist im Alltag des Apoyo leider nicht viel Platz. In der Regel ist es sehr wild und man kann kaum alle Fragen und Hilferufe der Kleinen bedienen. Man merkt jedoch, dass viele der Kinder ein dringendes Bedürfniss haben, sich einmal mit einer Vertrauensperson in Ruhe zu unterhalten. Ich habe mir vorgenommen, öfter diese Möglichkeit zu nutzen.
Als Nachhilfelehrer mache ich langsam Fortschritte. Die Sprachbarriere hindert mich zwar noch daran, den älteren Schülern komplexe Sachverhalte zu erklären, aber ich komme langsam mit immer größeren Gruppen zurecht.

Heute hatten wir eine Art "Elternabend". Es sollte eigentlich ein Treffen zwischen den Profesores und den Eltern der Kinder werden, die in den Apoyo kommen. Von 24 Elternpaaren war eine Mutter gekommen! Sonst niemand. Die anderen hatten wichtigeres zu tun oder - wie ich gehört habe ist das fast immer der Fall - interessieren sich nicht für die Schulausbildung ihrer Kinder. Sie sehen den Nachhilfeort als eine bequeme Weise, die Kinder ein paar Stunden versorgt zu haben.

Alles in allem geht es mir aber wieder gut. Ich muss keine Angst haben, mit meinen Sorgen und Problemen zu meinen Mitarbeitern oder meinen Chefs zu gehen. Die nehmen uns alle sehr ernst und herzlich auf und kümmern sich gut.
Sie haben mir auch in den letzten Tagen das Gefühl gegeben, eine große Hilfe zu sein und den Sinn an der Arbeit hier wieder zu finden.

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